Ich spüre die rissige Borke. Kühlwarm und festweich liegt sie unter meinen Händen. Alles um mich herum habe ich vergessen, nur der Baum und ich sind da. Meine Stirn hat sich an den Baum geschmiegt. Sein würziger Geruch ist eingezogen in meine Nase und zieht durch mich hindurch. Meine Stirn öffnet sich, da ist keine Rinde und keine Haut als Grenze mehr. Warme Weichheit hüllt mich ein, umgibt mich. Ein rhythmisches Pochen, ein brausender Pulsschlag, wo ist der Baum und wo bin ich? Wo hört der Baum auf und wo fange ich an?
Wir beide sind nur noch ein einziges lebendiges Wesen. Da ist nur ein pulsierendes Leben. Sanft bewegen sich meine Blätter im Wind. Ein kühles Frösteln durchzittert mich. Eine Amsel hat sich auf mir niedergelassen, und ich senke meinen dünnen Ast unter ihrem Gewicht. Sie ist mir willkommen, sie pickt die an mir fressenden Raupen von meinen Blättern.Da, horch, ihr Dankeslied. Süß gleitet es durch mich hindurch. Die rollenden Töne durchschauern mich. Der Gesang lockt ihre Gefährten zu mir. Meine Äste wippen unter ihren Anflügen auf und ab. Voller Freude schüttele ich meine Blätter sacht hin und her. Ich liebe es, mit meinen vielen, weit ausgebreiteten Armen hier zu stehen und die Vögel aufzunehmen. Ich liebe es, wenn sie ihre kleinen Nester zwischen meine Äste bauen. Zwischen meinen Blättern hindurch blinzele ich neugierig in die Nester hinein und beobachte die kleinen Eier. Ich schaue der eifrigen Futtersuche für die geschlüpften Jungen zu und manchmal lasse ich Blätter, an denen gerade Raupen schmausen, in das Nest hineinwehen. Der Dankesgesang strömt dann bis in meine Wurzeln hinunter. Die feinen Haarwürzelchen bewegen sich im Rhythmus der Töne und ich schwebe voller Leichtigkeit in meinem festen Fußbett.
Ich habe die Illusion des Fliegens. Halb fliege ich ja sowieso. Es ist so herrlich, ein Baum zu sein.