Ach, du Schreck

Wir stehen in unserem Zimmer im Breeze Hotel in Trichy und dann – merken wir dass Ossis Jacke mit unserem Geld fehlt. Wir haben sie im letzten Hotel hängen lassen. Nach dem ersten Schock gehen wir zur Rezeption, anrufen, die Jacke ist noch da, auch das Geld. Sie würden alles per Eilexpress schicken. In zwei Tagen ist es dann in Trichy, dann sind wir aber schon in Rajastan. Was nun? Rias, unser Fahrer, ist bereit, die drei Stunden zurückzufahren. Jetzt ist erstmal alles über den Haufen geworfen. Ich wollte so wahnsinnig – tja, so ist das mit dem Wahn und den Sinnen – gern nach Chidambaram, der Stadt in der sich alles um Nataraja, den kosmischen Tänzer dreht. Das ist jetzt zu weit weg und morgen reicht die Zeit nicht, was nun? Schließlich bringt uns ein Taxi nach Thanjavur. Da steht der Brihadesvara-Tempel, den ich auf dem Rückweg „mitnehmen“ wollte. Besser einer als keiner, und los geht’s. Die Straßen – Indien halt, verstopft. Auf der Schnellstraße „one way“ kommen uns Fußgänger, Motorradfahrer und auch Ochsenkarren entgegen. Der Taxifahrer muss seine Augen überall haben. Immer wieder wird die Straße von noch nicht fertigen Abschnitten unterbrochen, rumms, da war wieder solch ein Teilstück und wir sind mitten reingesaust und mitten im Staub. Erschöpft, weil ich über den Aufpreis für Air Condition ärgerlich war und ihn heroisch abgelehnt hatte und dafür Hitze und Staub fressen konnte, Ossi und der hustende Fahrer natürlich mit, erschöpft kamen wir nach eineinhalb Stunden an. Die Tempelanlage wurde um das Jahr 1002 nach unserer Zeitrechnung erbaut und gehört zum UNESCO-Welterbe. Sie gilt als eine der großartigsten Anlagen Indiens. Der sechs Meter lange Nandi, der Bulle, das Reittier Shivas streckt dem Eintretenden sein bedecktes Hinterteil entgegen, da er seinen Blick auf das Heiligtum seines Herrn gerichtet hat. Ich steige die Stufen hoch, umkreise ihn mit zusammengelegten Händen, da winkt mich ein Priester zu sich. Ich darf meine Hände über eine Ölflamme halten, dann gibt er mir Asche?, die ich quer über meine Stirn streichen soll. Ein eigenartiges Gefühl steigt in mir auf. Wackelnd und bebend, na klar, wie denn sonst, stolper ich zu Ossi. Als wär’s das Normalste der Welt reihen wir uns in die Hinduschlange vor dem Heiligtum ein. Von weitem hauts mich schon durcheinander. Der größte Lingam Indies steht hier: Sieben Meter Umfang und 3,50 m hoch aus schwarzem Granit. Wir kommen bis ganz vorn. Da schauen mir beide Priester in die Augen nicken sich und mir zu und schon drückt der eine mir eine Masse vor die Stirn und der andere drückt mir Blumen in die Hand, beide segnen mich. Wie betäubt wanke ich raus. Die Blumen schenke ich Ganesh. Dann geht’s los, die Säulengänge. Einhundertundacht schwarze Lingas stehen hier ausgestellt vor uralten, zum Teil gut erhaltenen Wandmalereien aus der indischen Göttergeschichte. Alle Lingas stehen in der Yoni. Es ist ein so starkes Erleben für mich, es ist, als wäre ich doppelt und dreifach. Ich bin da und doch nicht da und doch ganz ich und genau am richtigen Ort. Am Ende entdecke ich eine Steinkammer, der Zaun davor ist zur Seite gefallen, also steig ich da ein und was sehe ich? Den Tanzenden in die Rückwand gemeißelt und weißlich von Milch und Asche. Ich lege meine Stirn zu seinen Füßen auf die Erde. Ich kann nicht mehr, denke ich noch und dann führt mich jemand in einen erhobenen Schrein. Priester stehen da, Nataraja wird geschmückt und ich liege vor ihm. Es bebt alles, innen und aussen. Gott bless you, wünschen mir die Priester. Die schauen mich vielleicht an und winken mir hinterher. Für heute habe ich aber wirklich genug. Da kommt ja noch der Elefant! Auch er legt seinen Rüssel auf meinen Kopf. Den Wärtern macht das so viel Freude, dass sie mich zurückholen und mich fragen, ob ich genauso alt wie der Elefant wäre? Fünfzehn Jahre älter, naja, auch nicht schlimm. Ich darf ihn streicheln und umarmen. Im Hotel wartet Rias auf uns. Wir gehen gemeinsam Essen und er fragt und fragt. Nur allein durch die Gespräche fängt die Schüttelei zu seiner Freude wieder an.

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