DER MONDLICHTKELCH
Der König neigt sich mir zu. Fasziniert schaue ich auf seine Hände, die er in Brusthöhe vor sich ausgestreckt hält. Ein warm leuchtend pulsierendes Licht schwebt zwischen seinen Händen. „Was ist das?“, frage ich mich, „hat er den Mond eingefangen?“ Zwischen seinen beiden Händen schwebt ein Kelch. Durchsichtig schimmernd strahlt er mir entgegen. Wie verzaubert sauge ich die Schönheit des Kelches in mich hinein.
„Kann irgendjemand einen Kelch aus Mondlicht zaubern?“ Fragend schaue ich ihn an. Da legt der Falkenkönig den lichten Rand des herrlichen Pokals, des Mondlichtkelches, auch schon an meine Lippen. „Trink!“ Das ist keine Einladung, das ist ein Befehl aus dem Mund des Falkenköpfigen. Warm fließt die unsichtbare Flüssigkeit in mich hinein – und wandelt mich um. Inmitten des Kristalls, wenn denn dieser unendliche Saal einer ist, bin ich zu durchsichtigem, durchscheinendem Kristall geworden. Durch den Trank bin ich das geworden, was dieser Ort ist. Seine Stimme fließt in mich hinein. Tausend Glöckchen klingen in mir und lassen mich klirrend erbeben. „Wer bist du?“, wie ein Donnerschlag schwingt seine Stimme in mir. „Ich bin ICH“, gebe ich ihm zur Antwort. Er schaut mich an. Da ist nichts, was ich verbergen könnte. Offen bin ich vor seinen Augen, reiner durchsichtiger, unbegrenzter Kristall.