War und ist das ein Tag. Ich sitze wie in einem Vogelnest über der Dorfstraße und meine Füße brennen immer noch wie Feuer. Santosh hat mein Kopftuch immer wieder gekühlt – und trotzdem. Sechs Uhr früh, der Daulagiri strahlt in der aufgehenden Sonne. Annapurna Süd zieht nach. Das Annapurnamassiv ebenso, ob es wirklich so heißt, weiß ich nicht. Spielt es überhaupt eine Rolle wie sie heißen? Sie alle sind einfach schön, ob sie jetzt so oder so heißen. Ich gehe als erste los. Ich liebe die Stille um mich herum. Meine Stöcke klappern ganz leise auf den Steinplatten und bald haben mich die anderen eingeholt. Der Wald nimmt uns auf. Rhododendron-Bäume, deren Stamm ich nicht umfassen kann. Blüten überall.
Über uns, vor uns, auf dem Weg. Immer wieder hebe ich eine einzelne Blüte hoch, gebe ein wenig Speichel hinein und lege diesen Kelch in eine Vertiefung der Flechten und Moos behangenen Märchenbäume. Ich spinne ganze Märchen für die Jungen, die mir mit großen Kinderaugen zuhören. Ich zeige ihnen die im Moos schlafenden Marienkäfer und sage ihnen: This are the postmen. Sie bringen die Nachrichten der Elfen von Ort zu Ort. Später, im Sonnenschein sehen wir zwei von ihnen über eine Steinplatte zielstrebig zu einem Grasbüschel krabbeln. Das ist das Gästehaus „Zum Grünen Büschel“. Sie bekommen hier nach getaner Arbeit Grüntee und andere Erfrischungen. Die Vögel künden unser Erscheinen an. So werden wir aus vielen Augen beobachtet. Die Zeit vergeht schnell. Der Flechten behangene Wald aus uralten Zeiten
wechselt seine Energie und sein Aussehen. Schlafende Riesen ohne Blüten, moderige Wege, keine Vogelstimmen und jetzt fangen die Stufen an. Da ich nicht weiß was mich erwartet, steige ich frohen Mutes hinauf. Ein Hotel lockt uns hoch. Eine Attrappe. Leere Fensterhöhlen starren uns an. Es passt zu diesem Waldabschnitt, zu diesen Energien. Fast feindlich, abweisend erscheinen die alten Baumriesen, wie versunken in diesem Schlaf. Wer will es wagen sie zu wecken. Ihre Wurzeln sind wie Fallstricke über den Pfad gestreut. Sie umklammern Steine. An meinem Hosenbein zieht etwas. Ich bleibe stehen, greife in die Tasche, hole einen sonnengelben Stein heraus, Streich Speichel darüber. Direkt neben mir ein knorriger mannshoher Baumstrunk. In einer seiner Vertiefungen findet der Stein seinen Halt. Die Burschen beobachten mich genau und wir haben viel Freude auf diesem Weg. Wieder Stufen. Dann Glockengebimmel. Santosh und Dawa schieben mich gegen einen Felsen, dann ziehen auch schon die Lastponnys vorbei. Für einige Minuten Rast. Es zieht mich in den Schatten eines Felsbrocken: Ein Frauenschuh. Eine winzige Brücke und wieder wechselt der Wald sein Aussehen. Dschungel umschließt uns. Üppiges Grün. Bambus. Feuchtigkeit. Moose, saftig grün. Nicht graue lange Flechten. Und immer wieder Stufen. Irgendwann ist es mir egal ob ich in die frischen oder alten Ponnyhaufen trete oder nicht. Ich habe keine kraft mehr, auf diese Unwichtigkeiten zu achten. Wir lassen den Dschungel hinter uns und treten in die Sonne – Mann, wie die brennt. Klamotten aus, Wasser trinken, immer weiter. Die ersten Treck-Bekannten
überholen uns. Sie sind erstaunt, wie weit wir schon bekommen sind. Irgendwie imponiert ihnen unser Alter. Und ich weiß kaum wie ich meine Beine heben sol. Tausende von Stufen rauf und runter. Wie ich es bis hierher geschafft habe? Rechts Stütze, links Stütze, Wasser aufn Kopp und weiter. Immer weiter runter. Hohe, flache, schöne, beschissene Stufen. Ossi, unter uns, rutscht aus. Steht auf. Nichts passiert. Weiter, bis zum nächsten Schatten. Jesusmariaundjosef, welche Qual. Never again I go to Ghorepani. Aber diese Schönheit. Diese roten Baumwipfel. Diese Schneeberge. Gespräch mit Santosh. Es gibt Möglichkeiten den Treck zu teilen, unterwegs zu Übernachten. Nun sitze ich hier in Hile, 1500 Meter und habe heute 1300 Höhenmeter in sechsstündigem Marsch überwunden. Wieder Glöckengebimmel von unten herauf. Gleich gibt’s Dinner. Dann ab ins Bett – und Morgen? Morgen geht’s nach vier Stunden Marsch und Autofahrt zurück nach Pokhara. Und dann sehen wir die Gruppe wieder. Ich freue mich darauf.